Mathilda: „Krebs macht mir keine Angst“
Mathilda ist 16 Jahre alt. An dem Tag als sie geboren wurde, bekam ihr ältester Bruder Linus eine Stammzelltransplantation*. Zu dem Zeitpunkt war er fünf Jahre alt und an Leukämie erkrankt. Nach der Therapie ging es ihm eine Zeit lang wieder besser, doch dann kam der Krebs erneut zurück. Er starb mit nur acht Jahren. Mathilda war zu dem Zeitpunkt erst drei Jahre alt, ihr Bruder Konstantin, der Zweitgeborene, fünf Jahre alt. Für die junge Familie war es damals eine sehr schwere Zeit. „Linus ist und bleibt ein wichtiger Teil unseres Lebens“, erzählt Katja, Mathildas Mutter: „Auch, wenn es schon eine Weile her ist, haben sich die Gefühle nicht verändert und alles hat Auswirkungen. Es ist wie ein Mobilee. Plötzlich wird ein Familienmitglied abgeschnitten und wir anderen geraten aus der Balance. Heute hängen wir meist gerade, aber eben nicht immer“, sagt Katja. Das betrifft auch die jüngeren Geschwister Kolia und Nike, die ihren Bruder Linus nicht mehr kennengelernt haben. Nike fragt viel nach und es ist ihr wichtig, dass sie das fünfte Kind ist. Linus ist in ihren Herzen. „Er hat uns ja erst zu einer Familie gemacht“, blickt Katja zurück. Konstantin und Linus waren sehr eng. Für ihn war es sehr schwer. Mathilda war noch sehr klein, aber auch sie reagierte auf die Situation. Auf die Frage, wie sie heute empfindet, antwortet sie unerschrocken: „Krebs macht mir keine Angst – auch nicht für die Zukunft. Das was kommt, kann ich nicht ändern.“ Ihre ersten Erinnerungen und die Gespräche in der Familie über Linus machen sie natürlich nachdenklich und auch traurig, motivieren sie aber meistens. Ihr Credo heißt: weitermachen. „Linus wird immer in unseren Herzen sein, aber es bringt ja keinem etwas, wenn du nichts aus deinem Leben machst. Dann verschwendest du dein Potential. Für mich ist Linus eine Inspiration“, sagt sie.
„In der Klinik haben sie damals gesagt: Warten Sie ab bis es wieder besser wird. Anfangs war seine Prognose recht gut“, erinnert sich Katja: „Aber wir haben nicht darauf gewartet. Wir haben uns die Zeit möglichst bunt gemacht. Durch die Krankheit bekommt das Leben plötzlich einen Rahmen, der einengt, den wir aber manches Mal bewusst überschritten haben. Unser größtes Glück war seine Art und wie er mit der Situation umgegangen ist. Man darf traurig oder auch wütend sein, aber man darf nicht jammern“, so Linus Worte.
Wichtige Unterstützungsangebote waren damals das Waldpiratencamp der Deutschen Kinderkrebsstiftung und auch die Fighting Spirits**. Hier singt Mathilda schon seit Jahren aktiv mit. „Es gibt viele gute Hilfen und Unterstützungsangebote, aber viele davon muss man sich selbst suchen“, berichtet Katja: „Das kostet viel Kraft, die nicht jeder in schwierigen Zeiten hat.“ Auch ist der offene Umgang mit dem Thema Krebs immer noch keine Selbstverständlichkeit. „Die meisten haben Angst und wenn ein Kind so krank wird, ist das für viele schwer auszuhalten.“ Mathildas Mutter erinnert sich an einen Spruch besonders gut: „Es hat euch getroffen, aber ihr konntet das auch aushalten.“ Diese Aussage macht Katja heute noch fassungslos: „Wahrscheinlich waren es einfach nur unbedachte Worte, aber wer bitte kann so etwas aushalten. Umso wichtiger sind Aktionen, die sensibilisieren.“
* Wenn eine strahlen- oder chemotherapeutische Behandlung von Leukämien oder Lymphomen keinen ausreichenden Erfolg hat oder wenn es zu einem Rückfall kommt, ist eine Übertragung (Transplantation) von Knochenmark- oder Blutstammzellen oft die einzige Chance für die betroffenen Patienten, geheilt zu werden. (Quelle: Deutsche Krebsgesellschaft; https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/therapieformen/stammzelltransplantation.html)
**Kinder und Jugendliche, die gemeinsam Musik machen. Sie alle haben mit dem Thema Krebs zu tun.